15.04.2025 14:37
von Kommunikation

Impuls

Eine "Fisch-Therapie" für Mutlose

Toni Kurmann SJ
Toni Kurmann SJ

Von Toni Kurmann SJ
Direktor Lassalle-Haus Bad Schönbrunn

Kürzlich begleitete uns der Prophet Jona durch einen Exerzitien-Kurs hier im Lassalle-Haus. Alle gemeinsam staunten wir über die Wucht und Dynamik dieser alttestamentlichen Erzählung. Ich als Kursbegleiter vielleicht sogar am meisten. Eine Geschichte, von der ich glaubte, sie gut zu kennen, offenbarte sich mir noch einmal in einer unerwartet neuen Perspektive.

Der Prophet im Bauch des Walfisches – wegen dieser Episode gehört das Buch Jona gewiss zu den bekanntesten biblischen Erzählungen. Da haben wir sofort ein Bild vor Augen, und wahrscheinlich ist das genau der Haken an der Sache: Jona und der Wal begleiten uns von klein auf als „Gschichtli“ aus der Kinderbibel. Eine fantastische Fabel, die man Kindern erzählt, die noch ganz in märchenhaften Religionsvorstellungen leben.

Um dieses mentale Bild zu korrigieren, das wohl die meisten mit sich herumtragen, kann ich nur einladen, selbst im 2. Kapitel des Buches Jona nachzulesen. Da schreien einem existenzielle Erfahrungen des Verlorenseins, der absoluten Ausweglosigkeit und Ohnmacht entgegen:

Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das Herz der Meere;
mich umschlossen die Fluten, all deine Wellen und Wogen
schlugen über mir zusammen.
[…]
Das Wasser reichte mir bis an die Kehle,
die Urflut umschloss mich;
Schilfgras umschlang meinen Kopf.

Die bildhafte Vorstellung, wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch eines Leviathans verbringt, mag fantastisch anmuten: Sie wird hier überhaupt nicht beschrieben. Sie spielt keine Rolle. Sondern einzig die Erfahrung einer tiefgreifenden Verwandlung. Denn aus der Erfahrung verzweifelter Hilflosigkeit findet der Prophet allmählich zurück zu eigentlich vertrauten Hoffnungsworten. Da ist noch keine Rettung, kein Zeichen der Besserung, aber Jona beginnt wieder, ihm tief verinnerlichte Psalm-Worte zu beten.

Doch du holtest mich lebendig aus dem Grab herauf,
HERR, mein Gott.
Als meine Seele in mir verzagte,
gedachte ich des HERRN und mein Gebet drang zu dir,
zu deinem heiligen Tempel.

Mich hat dieser Blick auf eine den Propheten existentiell transformierende «Fisch-Therapie» sehr bewegt. Denn plötzlich beginnt Jona den eigenen Handlungsspielraum zu entdecken. An seiner tatsächlichen Situation hat sich noch überhaupt nichts geändert, aber sein Geist bleibt nicht abgetaucht. Er löst sich aus Lähmung und Lethargie, und erst die wiedererwachte Zuversicht bringt die Befreiung. Im Buch Jona heisst es recht lapidar: „Da befahl der HERR dem Fisch und dieser spie den Jona an Land.“

Eine solche transformative «Fisch-Therapie» wäre doch ein Traum! Wie sehr wünsche ich mir oft ein «Zurück zu den Wurzeln». Gerade wenn nichts mehr zu gehen scheint: Ein Wiederanknüpfen an vertraute Worte oder prägende Erfahrungen in der eigenen Biografie – auch in der persönlichen Glaubensbiografie –, um daraus neue Perspektiven zu eröffnen. 

Im Laufe unserer Exerzitien-Woche geschah genau das. Ich entdeckte den Raum von Bad Schönbrunn wieder neu – in seinen vielen, manchmal verwirrenden Dimensionen: landschaftlich, architektonisch, verbunden mit Erinnerungen an bewegende Begegnungen und prägende Konversationen, als einen heilsamen Ort der Unterbrechung. Seit fast 100 Jahren be-leben wir Jesuiten diesen Ort, begegnen wir Menschen und kreuzen sich hier die unterschiedlichsten Lebenslinien.

Eine fast hundertjährige Kultur ignatianischer Spiritualität hinterlässt zwangsläufig Spuren, sie prägt den Ort. Ein Drittel dieser Zeit trägt das Haus nun auch den Namen des Jesuiten Hugo Makibi Enomiya-Lassalle – eine Figur, die wir erst mit dem Friedensnobelpreis 2024 neu zu lesen beginnen: Als Zeuge des ersten Atombombenabwurfs über Hiroshima richtete er seine Bemühungen auf eine lebenswerte, versöhnte und friedliche Zukunft. Aus der humanitären Katastrophe und kollektiv traumatisierenden Erfahrung heraus fand er nicht nur Worte, sondern auch Wege. Er, der die hellwache Stille der Zen-Meditation kultivierte, war überzeugt, dass sich echte Spiritualität immer in einem aktiven Mühen um Menschen manifestiert.

Wie vertraut ist mir persönlich Jonas Ringen und Suchen im Kontext radikaler Verunsicherung. Er erlebt sie nicht nur als Individuum, sondern auch als Teil einer Gemeinschaft, der einst im Exodus ein paradiesischer Lebensraum verheissen worden ist, in dem Milch und Honig fliessen. Jona sieht sich betrogen: statt Heilsgeschichte Unheilserzählungen, statt Aufbruch Lähmung.  

Man muss keine Prophetin, kein Prophet sein, um gegenwärtig ähnlich lähmende Strukturen zu erkennen. Davon gibt es genug! Wir erleben uns ausgeliefert an irrlichternd irritierende Machtpolitik, menschenverachtende Weltbilder und das Recht des Stärkeren. Nicht nur auf der Weltbühne, sondern auch im unmittelbaren Nahbereich verfolgen Menschen rücksichtslos ihre eigenen Agenden, spielen undurchsichtige Spiele und kündigen Versprechen auf, ganz nach dem (fälschlich Konrad Adenauer zugeschriebenen) Motto: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?

In der bedrohlichen Beengtheit seiner «Fisch-Therapie» entdeckt Jona, was tief in ihm steckt, und mit den einst vertrauten Hoffnungsworten entdeckt er seine ureigenen alternativen Handlungsspielräume. Und das ist der eigentliche Neuanfang.

Seit den Jona-Exerzitien kommt mir das Lassalle-Haus mitunter wie ein Walfisch vor: bereit, einen dunkel und feindselig zu verschlingen, wenn man sich vom Parkplatz aus nähert. Um einen dann wieder auszuspucken in eine neue Welt, sobald man über den Lichthof in den Park geht.

Das Buch Jona lässt offen, wie sich die Geschichte weiter entwickelt. Doch genau so wie die Erfahrung der Fisch-Therapie legen auch die Osterberichte wichtige Spuren für menschenwürdige, lebenswerte und vor allem zupackende Perspektiven. Es sind Plädoyers gegen Verzagtheit, Lethargie und Kleinmut.

In drei Tagen (und Nächten) kann sich vieles verändern.

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